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Ungenügende gesetzliche Grundlage für verdeckte Überwachung in IV Fällen – BGer Urteil 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017

Das Bundesgericht hat entschieden, dass eine Observation im Bereich der Invalidenversicherung mangels genügender gesetzlicher Grundlage rechtswidrig ist (Urteil 9C_806/2016 vom 14. Juli 2017).

Der Entscheid stellt eine Praxisänderung dar. Nach bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtes war eine Observation nach dem Bundesgesetz über die Invalidenversicherung möglich (gestützt auf Art. 59 Abs. 5 IVG; vgl. BGE 137 I 327, E. 5.2). Die Praxisänderung erfolgt, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Oktober 2016 in einem ähnlich gelagerten Fall beschlossen hatte, dass die gesetzliche Grundlage im Bereich der Unfallversicherung für eine Observation nicht genüge (EGMR-Urteil 61838/10). Verdeckte Überwachungen in jenem Bereich seien daher eine Verletzung des durch Art. 8 EMRK geschützten Rechts auf Achtung des Privatlebens.

Das Bundesgericht hat nun festgehalten, dass im Bereich der Invalidenversicherung die genügende gesetzliche Grundlage ebenfalls fehle, womit Observationen der IV-Stellen gleichermassen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 BV darstellen würden und damit rechtswidrig seien.

Die Entscheidung des Bundesgerichts erscheint angesichts der Rechtsprechung des EGMR nichts anderes als konsequent. Anders wird die Situation erst wieder zu beurteilen sein, wenn die derzeit hängige Revision des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechtes ("ATSG") abgeschlossen ist. In ihrem Rahmen soll das ATSG um einen Artikel (Art. 43a) ergänzt werden, der die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen einer Observation sowie den Umgang mit dem so beschafften Material detailliert regelt (vgl. zur Vernehmlassung: https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-65726.html).

Im konkreten Fall liess das Bundesgericht die Verwertung der an sich rechtswidrig erlangten Beweise aufgrund einer Interessenabwägung schlussendlich doch zu. Das Bundesamt für Sozialversicherungen hat aber bereits alle IV-Stellen angewiesen, laufende Observationen per sofort zu beenden sowie keine neuen Observationen mehr anzuordnen. Sobald die entsprechende gesetzliche Grundlage mit der ATSG Revision geschaffen sei, würden die Observationen wieder aufgenommen (vgl. https://www.bsv.admin.ch/bsv/de/home/sozialversicherungen/iv/grundlagen-gesetze/versicherungsmissbrauch.html).

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